HÖHENFEUER

Carla Haas, 2010

DIE NATION feiert. Reden werden gehalten: Wir, Schweizer. Das weiße Kreuz auf rotem Grund schmückt Häuser und Strassen. Kinderaugen flackern. Papierlaternen schaukeln in der Luft. Feuerwerkskörper werden gehamstert. Familien ziehen frühmorgens los. Besetzen schwerbepackt Feuerstellen an Seen, in Wäldern, auf Höhen. Freunde tragen mit Eichhörnchenfleiß trockenes Holz zusammen. Vereinzelt knallt ein einsamer Vorbote. Wagemutige stapeln meterhoch Holz auf sperrige Berggipfel oder auf Anhöhen. Blitzartige Wetterumstürze bedrohen ihr Werk.

DIE NACHT bricht herein. Der Feiertag ist ein Sonntag. Schweizer und Nichtschweizer begehen ihn nach ihrer Tradition. Ich erinnere mich des Versprechens auf dem Rütli. Einander beistehen gegen den Feind. Woher kommt er heute? Als Kind folgten meine Augen den Funkenschweifen der Raketen. Romanisch, Schweizerdeutsch, Italienisch, Spanisch, Dänisch, Serbokroatisch mischten sich. Wir, Schweizer: ging an mir vorbei. Meine Primarklasse war ein Völkergemisch. Sprachbarrieren überwinden, gehörte zum Alltag.

TÜREN ÖFFNETEN sich. Das Laotenmädchen sitzt neben mir. Ihre kakaofarbene Haut riecht anders als meine. Erwachsene und ihre Kinder lästern hinter vorgehaltener Hand. Ausländerpack. Schmarotzer. Abzocker.

ZURÜCKHALTEND begegnen sich auch die Kulturen des Landes. Das Bekannte ist das Federkleid. Interessant wäre, den Stammbaum der Anfeinder zu zeichnen. Ist einer Schweizer, stammt er den drei Gründerkantonen ab?

MEINE SCHWEIZ ist ein multikulturelles Puzzle. Repression, elitäres Gehabe und Ausgrenzung, erschweren einen gepflegten Austausch. Als ich Chur verließ, sah ich: Meine Freunde haben mir die Welt eröffnet. Das Fremde beleuchtet anders. Und stellt in Frage. Bindung und Vermischung fordern eine vielschichtige Lektüre. Mit der Welt Geschäfte treiben und sie außen vor stehen lassen, steht im Widerspruch. Sich dabei hinter den Begriffen Neutralität, Tradition, Geschichte verstecken, ist dem Jetzt fern. Andere Kulturen verändern den Lebensraum. Mustafa, ein islamischer Kollege, fragt mich nach der Minarettabstimmung, ob das absolute Bauverbot Demokratie sei.

FEUER ERGLIMMEN. Wie jedes Jahr. Ich hebe den Blick. Zähle die Lichtpunkte in der Nacht. Sie lodern auf Gipfeln. Verbinden mich mit Anderen. Vor gleicher Hitze und Glut. Über Abgründe hinweg. Wo ich auch bin. Ruhe kehrt ein. Ich starre in die züngelnden Flammen. Umgeben von Freunden. Sie stimmen Lieder der Heimat an. Dieses Gefühl trägt mich, hier, über Grenzen.


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