Die Verwandlung

nach Franz Kafka
Fassung Denise Carla Haas

Gregor Samsa Peter Neutzling
Grete Jennifer Sabel
Vater Winni Wittkopp
Mutter Tanya Häringer
Prokurist / Zimmerherr Gregor Henze
Anna, Dienstmädchen Claudia Bill

Regie Denise Carla Haas
Ausstattung Neda Loncarevic
Dramaturgie Sven Kleine
Licht Mario Liesler
Ton Jennifer Weeger
Regieassistenz Astrid Gruber
Dramaturgieassistenz Anna Gubiani
Dramaturgiehospitanz Antonia Bill
Einspielung Violine Boguslaw Lewandowski
Fotos Mario Heinritz

Premiere 24. Januar 2008 20 Uhr im Theater in der Garage, Theater Erlangen, Erlangen, www.theater-erlangen.de
Weitere Vorstellungen 26.01.|27.01.|29.01.|30.01.|31.01.|12.02.|13.02.|14.02.|28.02.|29.02.|01.03.|02.03.|03.03.2008 


Interview von Sven Kleine mit Denise Carla Haas 
Erlanger Theater Zeitung Dezember 2007


Als Regisseurin und Leiterin der Theater-Compagnie „Le Théâtre L.“ in Lausanne hast Du bereits die Kafka-Erzählung „Ein Hungerkünstler“ auf die Bühne gebracht. Zudem wird Dein nächstes Theater-Projekt der „Bericht an eine Akademie“ sein – ebenfalls ein Text von Kafka. Was reizt Dich an der Theatralisierung von Kafkas Werken, insbesondere der „Verwandlung“?
Kafka war vom Theater fasziniert, aber er hatte - die Versuche im Tagebuch ausgenommen - dieses Medium nicht ausgeschöpft. Die Theatralität, die seinen Texten innewohnt, und die Frage nach deren szenischen Umsetzung reizen mich. Bei „Ein Hungerkünstler“ habe ich mit verschiedenen Faktoren gespielt: Die Darstellung eines Hungerkünstlers ist unmöglich, so habe ich mich entschieden, den Text als Ganzes zu belassen. Der Text wurde vorgetragen, die Figur des Hungerkünstlers so vorgestellt. Vor, während oder nach dem Textteppich schaffte ich entweder assoziative Szenen, die mit dem Essen und mit dem Hungern zu tun haben, die den Hunger unserer Gesellschaft darstellen, oder Varianten der vorgelesenen Szenen, die gewollt anders als die der Erzählung waren. Somit entstand eine Spannung zwischen Text und Bild, das unfassbare Hungern stand dazwischen. Der Reiz in „Die Verwandlung“ ist die Frage nach der Darstellung des Ungeziefers, oder, und dies ist mir besonders wichtig, die gegenläufige Verwandlung von Gregor Samsa und der Familie.

Als Autorin zeichnest Du auch verantwortlich für die Stückfassung „Die Verwandlung“, die Du für die Inszenierung am Theater Erlangen geschrieben hast. Welche inhaltlichen und formalen Aspekte waren Dir bei der Adaptation eines Prosatextes für die Bühne besonders wichtig?
Wichtig ist mir, keine Abbildung eines Ungeziefers auf die Bühne zu bringen. Meine Angst, dieses Bild erschöpfe sich rasch, ist zu gross. Die Szenen sind so angelegt, dass nicht nur die Verwandlung Gregors gezeigt wird, sondern auch die der Familie. Alle anderen Figuren entwickeln sich, während Gregor verfällt. Sie werden stark, machtbesessen, böse oder schwach, und entpuppen ihr wahres Ich, das in der Folge als mögliche Ursache für die Verwandlung Gregors angesehen werden könnte. Gregor verliert, um es einmal drastisch zu formulieren, die Fähigkeit, weiterhin wie früher zu funktionieren. Dies eröffnet ihm die Zustände, in denen er gelebt hat, und eine andere Seite seiner eigenen Familie, die nun ans Licht tritt.

Kafka bedient sich in der „Verwandlung“ eines uralten mythologischen Motivs, nämlich das der Metamorphose eines Menschen (Gregor Samsa) in ein Tier (ein Käfer). Wie verstehst Du diese Verwandlung und wie gedenkst Du, sie auf der Bühne szenisch zu lösen. Der Handlungsreisende Gregor Samsa in „Die Verwandlung“ wird zum Ungeziefer und der Affe Rotpeter in „Bericht an eine Akademie“ zu einem Menschen. Wo beginnt das Tier, wo hört der Mensch auf, und umgekehrt? Steht der Mensch mit seinem Bewusstsein über dem Tier oder eben gerade das Tier mit seiner Unschuld über dem Menschen? Diese Frage tritt in den Geisteswissenschaften immer wieder auf, sie lässt dem Menschen keine Ruhe.
Die Verwandlung Gregors ist für mich kein Absinken zum Tier, sondern erst einmal ein Zeichen, das eine Veränderung seiner Funktionsweise darstellt. Denn Gregor Samsa hat menschliche Züge: Er denkt. Die körperliche Gestalt des Ungeziefers könnte also auch nur eine Behauptung sein, vielleicht die Beschimpfung eines Menschen, der sich seinen Trieben hingibt oder der sich aufgibt. Bei der Umsetzung gehe ich vom Menschen aus: Ein Mensch verwandelt sich und ist für seine Umgebung nicht wieder erkennbar. Durch dessen Verwandlung verwandelt sich sein Umfeld.

Kafka selbst hat einmal geschrieben: „Das Komische ist das Minutiöse“. Dieser formale Aspekt der verzerrten „Brennglasoptik“ macht vielleicht zusammen mit den grotesk-absurden Situationen und der alptraumhaften Atmosphäre das aus, was wir gemeinhin „kafkaesk“ nenne. Welchen Weg siehst Du, diese Charakteristika der kafkaschen Prosa und ihre Wirkung mittels Schauspiel zu erzeugen? Welche ‚Spielweise’ erfordert Kafka von den Schauspielern?
Oh, das weiss ich vor der Arbeit mit diesem Text nicht. Ich habe Ahnungen, werde sicherlich von einem sehr genauen Spiel ausgehen, das aber sonderbare Zeichen – dies können Haltungen oder Handlungsweisen sein - voraussetzt, die nicht unbedingt erklärt, sondern einfach behauptet werden. Die Figuren schwappen an gewissen Punkten über, und mit ihnen die Situationen. In dieser Übertreibung entsteht eine groteske Spannung zur Ausgangslage, die dem Begriff ‚kafkaesk’ sicherlich nahe kommt. Die Situation ist nicht logisch lösbar oder erklärbar. Sie versandet im Nichts. Manche greifen zu dem Wort ‚abstrakt’, um zu erklären, was sich ihnen entzieht. In „Die Verwandlung“ führt die Unlösbarkeit der Situation zu Gregors Verschwinden, zu seinem verfrühten Tod. Er löst sich auf. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen vielleicht in einem Missverständnis: Gregor glaubt, von der Familie geliebt zu werden, durch die Verwandlung entdeckt er, dass sie ihn nur gebilligt hat.
Erlanger Theater Nachrichten, Januar bis März 2008, das Theater Erlangen


Rezensionen

Erlanger Nachrichten 24.01.2008 
Handlungsreisender kann nicht mehr und wird zum Käfer
Regisseurin Denise Carla Haas iszeniert im Theater in der Garage eigene Fassung von Franz Kafkas "Die Verwandlung"
Ein Mann wird zum Käfer: Im Theater in der Garage hat heute Abend um 20 Uhr Franz Kafkas "Die Verwandlung" in einer Inszenierung der Schweizer Autorin und Regisseurin Denise Carla Haas Premiere (bereits ausverkauft).

Gregor Samsa kann und will nicht mehr: Der Handlungsreisende empfindet seine Umwelt zunehmend als Bedrohung, Beruf und Leben geraten ihm zur belastenden Entfremdung. Er hat seine unreflektierte Existenz, sein Marionetten-Dasein satt - und verwandelt sich über Nacht in einen Käfer. Eine Verwandlung, auf die seine Familie mit Ratlosigkeit und Ausgrenzung reagiert.
"Wunderbare Texte"
Regisseurin Denise Carla Haas ist keine Novizin: Ihre Magisterarbeit hatte den in Prag geborenen Schriftsteller zum Thema, den "Hungerkünstler" hat sie bereits in zwei Versionen inszeniert, als nächstes Projekt steht demnächst "Ein Bericht für eine Akademie" auf dem Programm. Haas: "Kafka ist ein grandioser Autor, der wunderbare Texte mit traurig-schönen Motiven geschrieben hat. Seine Metaphorik ist überhöht und doch sehr nah." Sven Kleine, der Dramaturg des Theaters Erlangen, hatte in den vergangenen Jahren Haas' Arbeit verfolgt (die Regisseurin unterhält in Lausanne eine vielbeachtete Theaterkopagnie) und Haas dann nach Erlangen vermittelt. Denise Carla Haas hat für ihre Erlanger "Verwandlung"-Inszenierung eine eigene Fassung erstellt, die weder monologisiert noch eine Erzählerfigur ins Spiel bringt, sonder die aktionsträchtigen Momente festhält: "Bildlichkeit muss im Theater eben sein." Jedoch ein Schauspieler im überdimensionierten Käferkostüm - so bildlich wird es dann doch nicht werden. Statt dessen wird der Samsa-Darsteller Peter Neutzing stark mit dem Körper arbeiten, um die erfolgte Metamorphose zu visualisieren.
Zwei Lager macht Haas auf der Zwei-Ebene-Bühne auf: Im vorderen Bereich befindet sich Gregor Samsa, im hinteren, erhöhten Bereich das Familienzimmer. Das Bühnenbild wird sehr realistisch sein und enthält Bett, Stuhl, Tisch, Türen und Wände. Oft kommt es zwischen den Ebenen zu gegenläufigen Handlungen, "die Sache", so Haas, "ist durchaus auf Interaktion ausgerichtet." Am Spiel beteiligt sich neben Samsa dessen Mutter (Tanya Häringer), Vater (Winfried Wittkopp) und Schwester (Jennifer Sabel), der Prokurist und ein Zimmerherr (beide Gregor Henze) und ein Dienstmädchen (Claudia Bill). "Ich eigentlich von der Realität, mit skurrilen und weniger skurrilen Szenen, aus, die sich dann langsam verschiebt", sagt Denise Carla Haas. Ein Moment ist nicht original Kafka: Die Regisseurin hat eine Szene vorangestellt, in der gezeigt wird, wie Gregor Samsa bis dato "funktioniert" hat.
mko

Nürnberger Nachrichten 25.01.2008
Als Gregor ein Käfer wurde
Kommt ohne Käfer-Kostüm aus: Peter Neutzing als Gregor Samsa Franz Kafkas "Die Verwandlung" im Erlanger Theater Garage (Theaterstrasse 3)

Als Gregor Samsa eines Morgens erwacht, findet er sich mitten in einem Albtraum. Über Nacht ist er zu einem riesigen Käfer mutiert, der seine Mitmenschen und allen voran seine eigene Familie schwer verstört. Letztere wendet sich schliesslich völlig von ihm ab. Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" von 1912 greift das Thema Intoleranz gegenüber demjenigen, der seine ihm zugeschriebene Rolle nicht mehr weiterführen will, auf. Die traumähnlichen Bilder, die Kafka dafür heranzieht, bleiben dank seiner nüchternen Sprach immer realistisch und konkret.
Im Mittelpunkt der Inszenierung von Denise Carla Haas steht das Spiel mit der Verwandlung - sei sie gewollt, oder unbewusst oder von ausser erzwungen. Obwohl Kafkas Texte schon einige Jahre auf dem Buckel haben, sind sie auch heute noch aktuell. Schliesslich haben sich die existentialistischen Nöte und Bewusstseinslagen der Menschen wenig verändert.


Erlanger Nachrichten 26.01.2008
Ein Alptraum auf zwei Beinen
Das Theater Erlangen hat Franz Kafkas "Die Verwandlung" für die Bühne adaptiert
Ein "ungeheures Ungeziefer" in Shorts und Halskrause: Peter Neutzling ist Gregor Samsa

Franz Kafka für die Bühne: Das Erlanger Theater zeigt mit "Die Verwandlung" eine stimmige Inszenierung
Die erst scheinbar so nette, unschuldige Schwester spricht als Erste aus: "Wir müssen versuchen, es loszuwerden." Das "Es" ist Gregor Samsa. Der reisende Vertreter, der eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte und sich in ein "ungeheures Ungeziefer" verwandelt vorfand. In der kleinen "Garage" präsentiert das Theater Erlangen nun einen von Regisseurin Denise Carla Haas ausgearbeitete Bühnen-Version dieser wohl bekanntesten Erzählung von Kafka.
Ein Experiment, das durchaus als gelungen bezeichnet werden darf. Denn Haas konzentriert sich fast ausschliesslich auf die gegensätzlichen Entwicklungen der Hauptpersonen. Die Inszenierung spürt nach, wie aus dem schleimigen Workaholic Samsa, der all seine Freiheiten opfert, um das Geld für Eltern und Schwester heranzuschaffen, eine hilflose Kreatur wird und gleichzeitig die Aktivitäten und das Selbstbewusstsein der anderen Familienmitglieder steigen - mit schaurigen Konsequenzen für das "Es" im zugemüllten Zimmer.
Haas sorgt geschickt für den dramaturgischen Rahmen. Zunächst wird mit Geräuschen und stimmigen Bildern eine surreale Atmosphäre aufgebaut. Dann findet völlig unspektakulär die Verwandlung statt: Ein paar Knieschützer und eine Halskrause genügen Hauptdarsteller Peter Neutzling, um fortan als Ungeziefer präsent zu sein. Verzweifelt schlackert er mit seinen Armen und Beinen, die ihm nicht mehr gehorchen und robbt ängstlich durch die Wohnung. Das Stilmittel der Komik wird dabei sehr dezent eingesetzt. Vielmehr wird der Irrsinn dieser ausweglosen Lage für Samsa thematisiert. Überzeugend auch die Darstellung der Charakter-Wandlung des Vaters (Winfried Wittkopp), der Mutter (Tanya Häringer) und vor allem der Schwester (Jennifer Sabel).
Ein stimmiger Abend, der sicher auch die vielen Lehrer erfreuen wird, die schon weit vor der Premiere - Schullektüre verpflichtet! - dafür sorgten, dass es bis zu den Vorstellungen im März nur noch Restkarten gibt.


Nürnberger Zeitung 26.01.2008
Kafkas "Verwandlung" in Erlangen
Was nicht funktioniert, muss weg

Peter Neutzling begeistert als "Käfer" Gregor Samsa sowohl schauspielerisch als auch wegen seines beachtlichen körperlichen Einsatzes, der ihm sichtlich das Letzte abverlangt.
Gregor Samsas Bett auf der Bühne des Erlanger Theaters "Garage" sieht aus wie ein Sarg. So assoziiert der Zuschauer auch das Bettlaken, mit dem er sich zudeckt, mit einem Leichentuch. Der Handlungsreisende, der nur in seiner Arbeit aufgeht, ist im übertragenen Sinn auch mehr tot als lebendig. Akribisch zieht er die Hose seines Anzugs auf den Kleiderbügel, das Hemd und das Sakko darüber, die Krawatte über den Haken: Der Mensch, der vorher darin steckte, ist kaum beweglicher als das Metall.
Insofern ist es metaphorisch nur folgerichtig, dass Gregor sich in dieser Nacht in ein Insekt verwandeln wird, das in einem starren Panzer gefangen ist - einen Käfer. Peter Neutzlings schauspielerische und athletische Leistung ist kaum genug zu würdigen! Beinahe vergisst man, dass es ein Mensch ist, der da mit hilflos zuckenden Gliedmassen auf dem Rücken liegt oder grazil krabbelnd sein Zimmer erkundet: Alles ist so fremd geworden, so abgetrennt vom Alltag, den Gregor kannte. Symbolhaft für die Trennung von seiner Familie, von seiner Arbeit, der Welt überhaupt, befindet sich Gregors Zimmer ein Stück unterhalb der übrigen Wohnung. Es gleicht jetzt einem Verliess, das nur über einen kleinen Holzschemel zu erreichen ist. Ausser Gregors Schwester Grete (Jennifer Sabel) wagt niemand, sich mit der Verwandlung des früheren Ernährers der Familie auseinanderzusetzen. Hilflosigkeit und Ekel äussern sich in Aggression und Missachtung. Was nicht mehr funktioniert, gehört beseitigt. In diesem Fall mit der Fliegenklatsche! Grete kümmert sich zwar zaghaft um Gregor, geht aber auch immer sicher, dass "es" nicht "ausbrechen" kann. Regisseurin Denise Carla Haas arbeitet mit einer sehr reduzierten Sprache, die das Surreale der Geschichte und die Gräben zwischen den Figuren unterstreicht. Abgesehen von Gregors Monologen wird nur wenig gesprochen. "Mutter" (Tanya Häringer) und "Vater" (Winfried Wittkopp) bleiben namenlos. Erst durch Gregors Verwandlung entwickelt sich eine Dynamik, die die übrige Familie aus der Lethargie reisst und sie somit ebenfalls verwandelt. Sehenswert!
Christina Roth


Abendzeitung 26./27.01.2008 
Gregor Samsas Erwachen
Horror mit Humor: Kafkas "Verwandlung" als grelle Groteske am Erlanger Theater

Unsere "Zivilisation hat ihr Zwangssystem, das anscheinend das Strafgesetzbuch und in Wirklichkeit die Disziplin ist", hat der französische Meisterdenker und begeisterte Franz-Kafka-Leser Michel Foucault in seinem berühmten Werk "Überwachen und Strafen" (1975) an einer zentralen Stelle zu Recht gesagt. Diese Foucaultsche These, unterfüttert mit dem Fachwissen eines Siegmund Freud über krankmachende Familienverhältnisse und Karl Marxens Erkenntnisse über Zeitdiktate im Kapitalismus, bestimmten ganz klar den Blick der Schweizer Regisseurin und Autorin Denise Carla Haas bei ihrer Dramatisierung von Franz Kafkas berühmtester Erzählung "Die Verwandlung" als grell-ironische Volkstheater-Groteske. Bei der ebenso pfiffigen wie unterhaltsamen Premiere im Erlanger Garagentheater (mit einem ausdrucksstarken Peter Neutzling als Gregor Samsa) bannte Denise Carla Haas den metaphysischen Horror, den die phantastische Mutation Samsas in einen Käfer auslöst, indem sie die schreiende Komik des Textes artistisch aufs Trapez nimmt - und mit ihr bravourös hin- und herschwingt.
Die mutige Profanisierung der jungen Regisseurin dieses ebenso heiliggesprochenen wie tausendfach tot interpretierten Textes ist durchaus kein Willkürakt, sondern durch Briefe, Tagebuchnotizen und Erzählungen von intimen Kafka-Freunden wie Max Brod gedeckt, die immer wieder auf die im offiziellen Kafka-Bild unterbelichtete, humorvolle Kafka-Seite hinweisen. Insofern ist die tumultische Verwandlung der kanonisierten Erzählung, die im Original ob seines lakonischen Tons und der Nähe zum Horror der phantastischen Literatur besticht in einen vielstimmigen, an der Oberfläche geschwätzigen und redundanten Diskurs-Chor, wie man ihn aus dem antiken Volkstheater kennt, für gestrenge orthodoxe Verehrer des Kunstheiligen Kafka ein frivoler, ja obszöner Affront.
Deshalb wollten sich so manche Premieren-Zuschauer beim hörbar verhaltenen Schlussapplaus für Winnie Wittkopp in der Rolle des mächtig-ohnmächtigen Vaters, Tanya Häringer als scheinbar schwache Mutter und Jennifer Sabel als perfide Tochter ungern beteiligen an dem Lob für einen konsequenten und sehenswerten Zugriff.
Spark


Plärrer Nr. 3 - März 2008 - Nürnberg, Fürth, Erlangen - 31. Jahrgang
Mein Name ist Gregor Samsa
Kafkas "Verwandlung" im Erlanger Garagen-Theater

Kann man Kafkas berühmte Erzählung "Die Verwandlung" als Theaterstück inszenieren, jenes traumatische Erlebnis des Handlungsreisenden Gregor Samsa, der eines Morgens feststellen muss, dass er gerade dabei ist, sich in einen Käfer zu verwandeln? Man kann, wenn man ein intelligentes Konzept hat und dabei beherzigt, dass man todernste Themen nur auf witzige, sarkastisch-groteske Art in Szene setzen kann. Dem Theater Erlangen ist dieses Wunderwerk auf einleuchtende und überzeugende Weise gelungen. [Die Schweizer Regisseurin Denise Carla Haas setzt in ihrer Dramatisierung konsequent auf Komik und surrealen Witz, und sie kann sich dabei durchaus auf Kafka berufen, der schräge Komik sehr zu schätzen wusste. Praktisch auf zwei Bühnen (sehr passend und überzeugend eingerichtet von Nedeljka Loncarevic) lässt sie das äussere und innere Geschehen in slapstickartigen, zum Teil fast artistischen Szenen vor den verblüfften Zuschauern ablaufen. ]
Gregor Samsa, eingekesselt von krankmachenden Familienverhältnissen, kann nicht mehr. Sein Beruf mit all seinen Verpflichtungen frisst ihn auf, die persönlichen Beziehungen sind auch nicht gerade befriedigend. [Die Regisseurin betont zu recht die Ausweglosigkeit der familiären Zwangsmechanismen, die Gregor (ausdrucksstark und mit vollem Körpereinsatz von Peter Neutzling gespielt) schliesslich keine andere Wahl lassen als den eigenen Tod.
Im Mittelpunkt steht dabei die eindringlich ausgespielte, Musik und Erotisches verschmelzende Szene, in der Gregors Schwester Grete (jugendlich frisch Jennifer Sabel) vor dem Zimmerherren (umwerfend komisch Gregor Henze) Geige spielt, was Gregor zu der überraschend-verwirrenden Frage veranlasst: "Bin ich ein Tier, dass mich Musik so ergreift?" ] Erst die Mutation zum Tier, das Ausscheiden aus dem normalen menschlichen Lebenskontext, erlaubt ihm, all die teuflischen, bedrückenden Selbstbehauptungszwänge, die ihm der Überlebenskampf auferlegt hat, abzuwerfen, um in der Musik, im interesselosen, raum- und zeitvergessenen Wohlgefallen die "ersehnte unbekannte Nahrung" zu finden. Aber gerade das ist in einer Welt, die sich ganz dem Nützlichkeitsstreben und dem geordneten Leben verschrieben hat, nicht gestattet. Sein Tod ist der letzte Dienst, den er der Familie noch erweisen kann, mit der Folge, dass diese nun auch umgehend zu neuer Lebensfreude erwacht, was das Ensemble in aberwitzig komischer Weise als Schlusspointe in Szene setzt.
B.O. ganzer Text mit den [Strichen] 

Mehr Turnübung als Charakterstudie
Uraufführung
Das Theater Erlangen bringt Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" als realistische Stückfassung auf die Bühne. Verloren geht dabei viel von der Symbolik des Autors.


Erlangen Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" schafft mit der Verwandlung eines Menschen in einen hilflos zappelnden Käfer eine so absurde, irreale Situation, der man auf der Bühne nur mit ebenso absurden Mitteln und Bildern beikommen kann. In der Erlanger Uraufführung einer Stückfassung der "Verwandlung" versucht die Autorin und Regisseurin Denise Carla Haas Kafkas Erzählung realistisch gerecht zu werden - und treibt Kafkas Text von 1915 seine verfremdende Symbolik aus. Gregor Samsa, Kafkas Hauptfigur in der "Verwandlung", der sich eines Morgens in seinem Bett als riesiger Käfer wiederfindet, steht für das Ausgestossensein in Familie und Gesellschaft, steht für die Feindschaft und den Hass, der bis heute menschlichen Behinderungen, Krankheiten und Anomalitäten, ja auch Fremdartigem, Ausländischem entgegengebracht wird. Doch die Erlanger Inszenierung macht Gregor Samsas Familie (Winfried Wittkopp als Vater, Tanya Häringer als Mutter, Jennifer Sabel als Gregors Schwester, Claudia Bill als Dienstmädchen) nicht zu kleinbürgerlichen Monstern, sondern allenfalls zu - ob der menschlichen Katastrophe - etwas verunsicherten Durchschnittspersonen. Als "möblierter Zimmerherr" liefert zwar - buckelnd und sich windend - der Schauspieler Gregor Henze eine subtil-bizarre Studie des kleinen, schmierig-unterwürfigen Angestellten, wie ihn Kafka aus nächster Nähe in seinem Beruf als Versicherungsangestellter kennenlernte und haargenau literarisch dingfest machte; aber das sind nur ein paar Glanzlicher auf einer ansonsten ziemlich uninspirierten Inszenierung. Der auch zu Gregor Samsa, dem Helden, nichts einfällt: der Mistkäfer, das Ungeziefer, zu dem Gregor Samsa mutiert und das Peter Neutzling spielen muss, verkommt in akrobatischen Turnübungen und schwitzenden Verrenkungen zwischen Tisch und Stuhl und dam sargähnlichen Bett (Bühnenbild: Nedeljka Loncarevic), wo sich doch die "Verwandlung" in die verfremdende Mutation einer körperlichen Missbildung und Behinderung oder die "Aussetzung" in einen "Aussätzigen" biblischer Dimensionen angeboten hätte. Gregor Samsa wird ausgestossen und der Ablehnung der Familie und der Gesellschaft "ausgesetzt" - und stirbt in liebloser Einsamkeit. Auf der Bühne des Erlanger Garagentheaters, die den Zuschauer hautnah solchem (auch heute noch allenthalben und fast täglich anzutreffenden) Geschehen aussetzen könnte, spürt man nur selten etwas davon.
Dennoch viel Beifall!
Friedrich J. Bröder 

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